Hoch­zeits­bräu­che

Tag­re­veil­le oder Hochzeitsschießen

Im Chiem­gau und weit dar­über hin­aus ist es seit lan­ger Zeit üblich gewe­sen, dass spe­zi­ell bei einer Hoch­zeit nach tra­di­tio­nel­lem Ritus (= soge­nann­te Bau­ern­hoch­zeit) an dem Tag, an dem der „Kam­mer­wa­gen“ in das neue Heim der Braut „über­führt“ wor­den ist, „geschos­sen“ wor­den ist. Dafür gibt es vie­le Bele­ge in ein­schlä­gi­gen Berichten.

Unab­hän­gig davon ist es bei uns aber auch so, dass der soge­nann­te „Tag­re­veil­le“ (gespro­chen „Tag­re­veij“), also das „Auf­we­cken“ der Braut­leu­te und deren Fami­li­en durch Schuss­fol­gen mit zum Brauch gehör­te und noch gehört.

Beim Wort „Reveil­le“ (gespro­chen Reveij) han­delt es sich um einen Aus­druck aus der fran­zö­si­schen Spra­che der hier, wie so vie­le fran­zö­si­sche Wör­ter Ein­gang in unse­re Mut­ter­spra­che und in den Chiem­gau­er Dia­lekt gefun­den hat. Der Ursprung des Wor­tes liegt im Latei­ni­schen wobei „re“ soviel wie „wie­der“ und „eveil­ler“ abge­lei­tet von lat. „vigi­la­re“ soviel wie erwa­chen (zusam­men also das „Wie­der-Erwa­chen“ also das Auf­wa­chen) bedeuten.

Emer­an Wei­din­ger aus Ruh­pol­ding hat in einem aus­führ­li­chen Arti­kel im „Hei­mat- und Trach­ten­bo­ten“ vom 15. August 1985 über die Bau­ern­hoch­zeit im Chiem­gau geschrie­ben. Auch er ver­wen­det dabei den Aus­druck „Tag­re­vell“ (Tag­re­veij). Reveil­le bedeu­tet also dem Sinn nach nichts ande­res als „Weck­ruf“. Es han­del­te sich z.B. im mili­tä­ri­schen Bereich um drei bis vier Sal­ven aus klei­ne­ren Geschüt­zen oder Böl­lern um eine „Per­so­nen­mehr­heit“ zu wecken.

Wei­din­ger schil­dert tref­fend und nach den Regeln des Brauchs rich­tig, dass zum „Auf­we­cken“ nur drei Mal geschos­sen wur­de und ein wei­te­rer (letz­ter) Schuss dann abge­ge­ben wur­de, wenn die Braut das elter­li­che Haus ver­ließ.
Heu­te wird viel­fach und aus Unkennt­nis des­sen, was hier wirk­lich „der Brauch“ ist, stun­den­lang „Krach“ gemacht und das mit Gegen­stän­den , die eben­falls aus Unkennt­nis des Her­kom­mens alles ande­re als geeig­net sind und die, so Wei­din­ger wört­lich“ einen uralten Brauch zur Jahr­markt­gau­di abwerten“.

Dabei kon­sta­tiert er sogar „schwe­ren Scha­den“, den das hohe Anse­hen von Sit­te und Brauch dadurch erlei­det. Vie­les, was sich von dem sinn­vol­len Brauch des Auf­we­ckens (Tag­re­veij) ent­fernt hat, der im Übri­gen auch bei grö­ße­ren Fest­lich­kei­ten wie z.B. Pri­miz, Trach­ten- und Schüt­zen­fes­te, Musik­fes­te, Fah­nen­wei­hen zu beob­ach­ten ist, kann nicht mehr mit dem Inhalt des Wor­tes „Brauch“ benannt wer­den son­dern muss sich als inhalts­lee­res und von dem eigent­li­chen Anlass abge­lös­tes Tun (also even­tu­ell sogar Miss­brauch), zum Teil noch mit Sach- oder Per­so­nen­schä­den, bezeich­nen lassen.

Die­se Ent­wick­lung spricht z.B. ein Arti­kel im Tacher­tin­ger Gemein­de­blatt vom 15.12.2000 deut­lich an, in dem zuge­ge­ben wird, dass sich der Brauch „etwas“ ver­än­dert habe und dass die „drei Schüs­se beim Hah­nen­schrei“ einer Dau­er­schie­ße­rei Platz gemacht haben bis Braut und Bräu­ti­gam vom elter­li­chen Haus wegfahren.

Die­ses „Gebal­le­re“ das in jüngs­ter Zeit immer wie­der oder immer noch statt­fin­det, hat „kei­nen Sinn“ und ist allein schon aus die­sem Gesichts­punkt „brauch­wid­rig“. Per­so­nen, die schon wach sind braucht man eh nicht mehr auf­we­cken.
In der Nacht vor dem gro­ßen Tag im Leben jedes Men­schen, in dem man wohl sel­ten recht tief schla­fen dürf­te (noch dazu als eine der Haupt­per­so­nen) so lehrt uns die Lebens­er­fah­rung, ist man nach drei Schuss wohl „hell­wach“.

Es ist also unsin­nig (brauch­wid­rig) und stört das unge­trüb­te Zusam­men­le­ben in unse­ren Städ­ten und Dör­fern, wenn rein aus dem Bestre­ben, mög­lichst viel Krach zu machen (Selbst­zweck) geschos­sen wird mit allen „mög­li­chen und unmög­li­chen“ Gerätschaften.

Bevor man dazu über­ging, die Auf­we­cker = „Tag­re­veil­ler“ zu einer Brot­zeit bei Musik ein­zu­la­den (s. auch Arti­kel von Emer­an Wei­din­ger) haben sich die Tag­re­veil­ler (meist Nach­bars­bur­schen oder Schul­ka­me­ra­den) uner­kannt nach ihrem Tun zurück­ge­zo­gen und sind erst wie­der am Abend bei der Auf­for­de­rung des Hoch­zeits­la­ders (Pro­gro­ders) „Es haben die Ehre auf­zu­tre­ten die Kranz­bin­der und die Tag­re­veil­ler „in Akti­on getre­ten als schö­ne Über­ra­schung für das Hoch­zeits­paar, das hier noch ein­mal erfreut wur­de durch das „Lüf­ten eines Geheimnisses“.

Dass sich Brauch ver­än­dert ist klar und manch­mal ist es auch gut so, aber er darf nicht zum Wider­sinn oder Selbst­zweck wer­den wie z.B. ein „Tag­re­veil­le“ bei einer Hoch­zeit, die nicht nach dem her­kömm­li­chen (in den ein­zel­nen Aus­prä­gung sicher­lich von Tal zu Tal ver­schie­de­nen For­men) Ritus gefei­ert wird und even­tu­ell erst am Nach­mit­tag beginnt.

Wenn hier Beschwer­den sei­tens der Bevöl­ke­rung ein­ge­hen und man die­ses Tun mit dem Hin­weis auf einen „alten Brauch“ recht­fer­ti­gen will so ist das unse­ri­ös und scha­det dem „Her­kom­men“.

Nach mei­ner Mei­nung könn­te zur Klä­rung der Ange­le­gen­heit schon bei­tra­gen, wenn man den (irre­füh­ren­den) Begriff „Hoch­zeits­schie­ßen“ nicht mehr gebrau­chen wür­de, weil die­se Schuss­fol­gen beim „Tag­re­veil­le“ ja auch als Weck­ruf bei ande­ren Anläs­sen erschei­nen, die nichts mit einer Hoch­zeit zu tun haben aber auf ein Fest in der Gemein­de oder Stadt hin­wei­sen .Die Gemein­schaft soll­te dar­an teilnehmen .

Außer­dem war das „Hoch­zeits­schie­ßen“ immer schon ein Schei­ben­schie­ßen ohne Bezug zum „Auf­we­cken“. Wenn man statt „Hoch­zeits­schie­ßen“ Auf­we­cken oder Tag­re­veil­le (Tag­re­veij) sagt ist klar, was damit gemeint ist.
Schließ­lich hät­te dann ein wirk­lich „guter“ „alter“ Brauch sei­nen ursprüng­li­chen Sinn zurück erhal­ten und die­ser Sinn ist der Orts­be­völ­ke­rung und beson­ders den neu zuge­zo­ge­nen Bür­gern und Gäs­ten gut zu ver­mit­teln.
Beson­ders „Letz­te­re sind oft wegen der „noch intak­ten Brauch­land­schaft nach Bay­ern und in den Chiem­gau über­sie­delt.
Noto­ri­schen Nörg­lern könn­te man, auch von Sei­ten der Poli­zei­dienst­stel­len Paro­li bieten.

Kon­fron­ta­ti­on durch Miss­brauch stärkt nur die­je­ni­gen, die ange­tre­ten sind, Kuh- und Kir­chen­glo­cken und dem „Hah­nen­schrei“ zu dem die drei Schuss pas­sen soll­ten , den „Gar­aus „ zu machen.
In jeder Gemein­de ist min­des­tens eine waf­fen­recht­lich und waf­fen­kund­lich aus­ge­bil­de­te Per­son vor­han­den, der dafür sor­gen könn­te, dass alles so „wia’s da Brauch is’ ablau­fen kann.

Die Tra­di­ti­ons­ver­ei­ne, ob Trach­ten- oder Schüt­zen­ver­ei­ne, Bur­schen­ver­ei­ne o.v.m. könn­ten hier einen ech­ten Bei­trag zur „Befrie­dung“ und zum Erhalt von sinn­vol­lem Brauch leisten.

Traun­stein, 2. August 2005

Sie­gi Götze